Nicht von der Stange
Ganzheitliche Spa-Konzepte statt 08/15-Treatments
Ein Spa-Menü sollte nicht nur auf die Pflege der äusseren Hülle eines Menschen ausgelegt sein, sondern auch sein Innenleben berücksichtigen, findet Therapistin Jenny Ospelt.
Lassen Sie die Seele baumeln. Bringen Sie Körper, Geist und Seele in Einklang. Lassen Sie den Alltag hinter sich. Tauchen Sie ein in eine Welt voller Entspannung. Lassen Sie sich von Kopf bis Fuss verwöhnen.“ So oder so ähnlich klingen sie, die 08/15-Floskeln, die man in den meisten Spa-Menüs findet. Sie beschreiben für gewöhnlich ein Treatment-Angebot, das sich aufteilt in kosmetische Behandlungen in der ersten Hälfte des Flyers und Körperanwendungen auf den sich anschliessenden Seiten. Die dabei angebotenen Treatments ähneln sich fast immer. Anti-Aging-Facials hier, Hot Stone, Lomi Lomi und Ayurveda-Massagen da. Doch die Zeiten, in denen der Gast sich in gefühlt 99 Prozent aller Spas zwischen maritimer oder karibischer Kosmetik entscheiden muss, sind langsam aber sicher vorbei. Ein Grund hierfür ist, dass Thalasso in den Bergen oder eine Gesichtsbehandlung in Thüringen, die nach Südsee oder Karibik duftet, nur bedingt authentisch daherkommen. Ein Wellnesshotel in Brandenburg, das sich auf Moor-Treatments aus dem eigenen, nahegelegenen Moor spezialisiert, wirkt auf den Endverbraucher attraktiver als vergleichbare Mitbewerber, die „Behandlungen aus aller Welt“ anbieten. Ein Spa auf Rügen, das regionale Kreidepackungen offeriert, wird erfolgreicher sein als eines, das auf 08/15-Packungen setzt. Und ein Haus, das sein Spa-Menü rund um das Thema Hopfen aufbaut, wird allein schon durch sein Treatment-Angebot höchstwahrscheinlich mehr Day Spa- und Hotelgäste anziehen als eines, das Lomi Lomi und Ayurveda als „exotische Treatments“ listet.
Der regionale Bezug
Je regionaler der Bezug, umso authentischer gestaltet sich also das Angebot. Ein authentisches Angebot alleine macht zwar noch keine ganzheitliche Behandlung aus, bildet aber schon mal eine solide Basis.
Im Idealfall füllt der Gast zwar eine Consultation Card aus, bevor die Behandlung startet. Im Behandlungsraum selbst bleibt dann aber häufig keine Zeit mehr für Kommunikation, weil der Treatment-Plan so straff getaktet ist, dass der Behandler die „Hands on“-Zeit reduzieren müsste. Dabei ist diese Kommunikation im Vorfeld mindestens so wichtig wie die Behandlung selbst. Denn auch wenn die Consultation Card verrät, welche Allergien dieser fremde Mensch mitbringt, stellt sich doch die Frage: „Wie geht es dieser Person eigentlich gerade, die in den folgenden 60 oder 90 Minuten angefasst werden soll?“ Wer sich ernsthaft nach dem Befinden eines Menschen erkundigt, sollte natürlich auch so qualifiziert sein, dass er mit den Antworten professionell umgehen kann.
Straffer, schöner, jugendlicher?
In Zukunft wird man den Gast immer häufiger mit Kombi-Packages aus Körper-Treatments und Coaching oder Konzepten abholen, die auch das Innenleben umfassen. Hier reichen die Möglichkeiten von Psychotherapie über Hypnose bis hin zu Reinkarnationstherapie. Es wird also langfristig nicht mehr ausreichen, den Kunden auf seinen Körper zu reduzieren und alle Bemühungen darauf auszurichten, dass dieser möglichst lange möglichst jugendlich, straff und schön aussieht. Es wird sicherlich auch weiterhin Gäste geben, die nicht damit klarkommen, dass der Zahn der Zeit an ihnen nagt, aber der „Pro Aging-“ oder „Love your Age“-Trend sowie die auch im deutschsprachigen Raum immer stärker spürbare Body Positivity- Bewegung werden den Fokus verlagern – weg von der äusseren Hülle hin zu allem, was in uns steckt.
Spannende Kombi-Angebote
Die Menschen setzen sich zunehmend mit ihren Gedanken, den daraus resultierenden Gefühlen und Glaubenssätzen auseinander. Ein ganzheitlicher Spa-Ansatz holt sie auch genau dort ab und schaut auch nach innen. Neben den bereits erwähnten Methoden machen hierbei auch Behandlungen Sinn, die neben dem physischen auch die verschiedenen Energiekörper berücksichtigen. Es gibt bereits Kombi-Angebote aus klassischer Massage und Energiearbeit wie etwa Reiki oder Deep Tissue-Massagen in Verbindung mit Theta Healing. Die Chakren und Energiekörper des Menschen weiterhin stur auszublenden, wird auf lange Sicht nicht funktionieren. Heute gibt es bereits Gesichtsbehandlungen, bei denen Edelsteine zum Einsatz kommen. Ich selbst hatte sogar schon mal ein Bikini-Sugaring, bei dem der Raum vorab mit Palo Santo gereinigt wurde. Auch im Bereich der Aromaöle, des Räucherwerks und der Klänge gibt es noch viel ungenutztes Potenzial. Die beiden Sinne Riechen und Hören werden noch viel zu oft gänzlich aussen vor gelassen, dabei wäre es ein Leichtes, einen Smudge Stick, ein Klangspiel, eine Klangschale, eine Ocean Drum oder einen Rain Stick auch in eine klassische Behandlung zu integrieren.
Aber auch das Thema Medical Spa ist relevant, wenn wir über einen ganzheitlichen Ansatz reden. Im klassischen Sinn bedeutet das ja meistens, dass ein Arzt im Haus ist, der offiziell diagnostizieren darf und dann die entsprechenden medizinischen Anwendungen verordnet – ganz egal, ob im kosmetischen Bereich oder bezogen auf den Körper. Auch hier wird es weiterhin eine Zielgruppe geben, die unter Medical Spa einen individuellen Abnehm- und Fitnessplan unter ärztlicher Aufsicht versteht, um den eigenen Körper in einem bestimmten Zeitraum dem gesellschaftlich vorherrschenden Ideal möglichst optimal anzupassen.
Da geht allerdings noch viel mehr. Denn auch Osteopathie, Homöopathie oder Akupunktur, also alle Verfahren, die nicht unbedingt Hand in Hand mit der klassischen Schulmedizin um die Ecke kommen, bieten spannende Behandlungsansätze, die sich wunderbar in ein ganzheitliches Spa-Konzept integrieren lassen.
Um individuell und ganzheitlich auf einen Gast eingehen zu können, sind Zeitfenster mit einem bewusst ausgewählten Schwerpunkt nahezu unabdingbar. Das wiederum setzt einen gewissen Qualifizierungsgrad des Personals voraus. Eine Herausforderung, der die Branche sich zukünftig stellen darf.
Ernährung und Bewegung
Auch die Themen Ernährung und Bewegung gehören in ein ganzheitliches Wellness-Konzept. Zwar deutet sich aktuell ein Wandel an, doch wir leben nach wie vor in einer Zeit, in der die Menschen sich mehrheitlich an dem von der Gesellschaft deklarierten „Ideal“ messen und alles daran setzen, diesem Ideal zu entsprechen – oder ihm zumindest möglichst nah zu kommen. Das spiegelt sich auch in den Ernährungs- und Fitnessangeboten der Day Spas und Wellness-Hotels wider. In Bezug auf die Ernährung bedeutet das in der Regel Verzicht, bezogen auf das Thema Bewegung nicht selten Kampf. Verfolgt man einen wahrhaft ganzheitlichen Ansatz, so lässt sich die mentale Gesundheit eines Menschen nicht von dem Körper trennen, der ihn täglich durchs Leben trägt. Die Branche darf sich also fragen, inwieweit das aktuelle Fitnessund Ernährungsangebot dahingehend angepasst werden kann, dass Ess- und Körperschemastörungen nicht unnötig befeuert werden.
Die Lösung könnte in einem Ansatz liegen, bei dem sowohl die Freude als auch der Genuss (am Essen wie auch an der Bewegung) wieder in den Fokus rücken dürfen, indem man sich auf einer anderen Ebene (etwa Psychotherapie, Hypnose oder Reinkarnationstherapie) das eigentliche Problem anschaut.
Eine ganzheitliche Behandlung ist unterm Strich also eine in sich ziemlich runde Sache, die jedoch ein gewisses Mass an Qualifikation der Mitarbeiter erfordert. Die Zeiten, in denen Körper nach einem stur festgelegten Ablauf im Akkord eingeölt wurden, sind vorbei. Ein individueller Blick auf jeden einzelnen Gast, der über dessen körperliche Hülle hinausgeht, wird immer relevanter. Und wenn wir mal ehrlich sind und uns in die Rolle des Gastes hineinversetzen, dann ist das doch eine äusserst begrüssenswerte Entwicklung!
Autorin:
Jenny Ospelt Die ausgebildete Physiotherapeutin kooperiert seit vielen Jahren als freiberufliche Spa-Therapistin mit verschiedenen Spas. Ausserdem gibt sie auf ihrem Blog I Love Spa persönliche Tipps und Informationen zu den Themen Spa und Wellness.
Kontakt:
mail@ilovespa.de
Text: Jenny Ospelt
Fotos: stock.adobe.com (3), Jenny Ospelt (1)